Die Architektur steht heute mehr denn je vor der Herausforderung bestehende Strukturen weiterzudenken und für neue Nutzungen zu adaptieren. Statt abzureißen und neu zu bauen geht es darum, mit dem Bestand zu arbeiten – ressourcenschonend, funktional und visionär. Unser Quartalsthema Transformation im Bestand beleuchtet genau diesen Ansatz und zeigt neben der Veränderung innerhalb unseres Büros, wie Architektur durch gezielte Eingriffe bereits Bestehendes für neue Anforderungen nutzbar macht und dabei neue (räumliche) Potenziale entfaltet.
Entscheidend ist dabei die Fähigkeit, über den reflexartigen Impuls „Abriss wäre einfacher“ hinauszudenken. Denn oft sind es gerade große funktionale Veränderungen, die ungeahnte architektonische Qualitäten freilegen können.
Ein herausragendes Beispiel ist das Fraunhofer IBMT in Sulzbach. Bereits 2014 entstand hier ein Projekt, das viele der heute zentralen Themen im Bauwesen – Nachhaltigkeit, Dekarbonisierung und flexible Nutzung – vorweggenommen hat. Im Gespräch mit Prof. Markus Hammes, Gründer von hammeskrause architekten, bekam ich einen Einblick in die Herausforderungen und Chancen, die sich bei der Transformation eines ehemaligen Industriekomplexes in einen hochinstallierten Forschungsbau ergaben, und welche Erkenntnisse sich daraus ableiten lassen.
Die Transformation im Bestand ist eine der spannendsten und wichtigsten architektonischen Herausforderungen unserer Zeit. Denn sie ermöglicht es, bestehende Gebäude u.a. in völlig neue Funktionen zu überführen – und das mit minimalen baulichen Eingriffen sowie maximaler Ressourcenschonung. Ein herausragendes Beispiel für diesen Ansatz ist die Umwandlung einer ehemaligen Hemdenfabrik in das Fraunhofer-Institut für Biomedizinische Technik (IBMT) in Sulzbach.
Markus Hammes beschreibt Transformation im Bestand als einen Prozess, bei dem bauliche Primärstrukturen erhalten bleiben, während sich die Nutzung des Gebäudes radikal verändern kann. „In diesem Projekt ging es uns um die Weiterentwicklung dessen, was bereits existiert. So, dass wir gravierende Wechsel in der Funktionalität ermöglichen – ohne dabei die bauliche Substanz unnötig verändern zu müssen.“
Experimente und Überraschungen im Planungsprozess
Der Umbau eines Industriegebäudes in ein hochinstalliertes Forschungs- und Laborgebäude bringt besondere Herausforderungen mit sich. „Beim Bauen im Bestand weißt du nie genau, was dich erwartet,“ erklärt Hammes. Besonders ältere Gebäude sind oft lückenhaft dokumentiert, sodass sich unvorhergesehene Gegebenheiten erst während der Bauphase offenbaren.
So führte beispielsweise das Entfernen von Estrich in einem kleinen Teilbereich im Untergeschoss unerwartet zum plötzlichen Eindringen von Grundwasser. Auch beim Dach wurden während der Öffnung für Oberlichter bis zu sieben Schichten Bitumen entdeckt. Zudem mussten tragende Stahlverbindungen ertüchtigt werden, da sie heutigen Vorschriften nicht mehr entsprachen. „Gebäude müssen auch beim Bauen im Bestand den aktuellen Normen entsprechen.“
Architektur als präzise Intervention
Die Planung für das IBMT setzte auf das Prinzip „so viel wie möglich erhalten, so wenig wie nötig verändern“. Die Primärkonstruktion blieb bestehen, während neue Elemente gezielt ergänzt wurden. Besonders prägend war der neu vorgelagerte Erschließungsgang, der die einzelnen Gebäudeteile verbindet und eine klare funktionale Struktur schafft. Höhenunterschiede zwischen den Geschossen wurden durch Lufträume und Treppen intelligent überbrückt, wodurch kurze Wege zwischen Laboren und Büros ermöglicht wurden. Lichtführung, Materialwahl und räumliche Organisation zeigen, dass sich eine starke architektonische Identität auch ohne Abriss und Neubau realisieren lässt.
Erkenntnisse von Prof. Markus Hammes
Das IBMT-Projekt hat bereits in 2014 eindrucksvoll bewiesen, dass Bauen im Bestand nicht nur ökologisch, sondern auch funktional und gestalterisch sinnvoll ist. Hammes betont jedoch, dass zwei verbreitete Annahmen nicht stimmen: Bauen im Bestand geht weder schneller noch ist es automatisch günstiger als ein Neubau.
„Es braucht eine sorgfältige Planung, da Eingriffe oft präziser und aufwendiger sind als bei einem Neubau. Überraschungen sind immer einzukalkulieren, was Zeit und Kosten beeinflussen kann.“
Gleichzeitig zeigt das Projekt jedoch, welch enormes Potenzial in bestehenden Strukturen steckt – sowohl architektonisch als auch im Hinblick auf Ressourcenschonung und Dekarbonisierung. Mit Projekten wie dem IBMT wird deutlich: Die Zukunft des Bauens liegt also nicht mehr im radikalen Neubeginn, sondern immer mehr in der intelligenten Weiterentwicklung des Bestands.
Danke an Prof. Markus Hammes für das Interview
Durchgeführt von Vanessa Sabrina Allgeyer